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Kranksein - eine Frechheit als Selbständige?

Aktualisiert: 23. Okt. 2022

Es war ein wunderschöner Morgen als mich um 6 Uhr ein Notruf aus dem Stall erreichte, dass ich mit dem Tierarzt sofort in den Stall kommen soll weil mein Pferd nicht mehr aufstehe und mit knapp 30ig nun allenfalls über die Regenbogenbrücke gehe.


Noch während ich am Telefon war zog ich mich gleichzeitig an und weckte meinen Mann, der an dem Tag glücklicherweise frei hatte. Auf dem Weg in den Stall versuchte ich die Shootingkundin dieses Tages zu erreichen und als sie nicht abnahm schrieb ich ihr, dass es einen Notfall im Stall gebe. Da ich kurz darauf hätte losfahren müssen um zu gutem Licht beim Shooting zu sein schrieb ich, dass ich es eventuell zeitlich nicht schaffen werde für unseren Termin und ich mich nochmals melde sobald ich wieder kann.


Nach kurzem stand mein Pferd wieder und ich rief die Kundin erneut an. Ich entschuldigte mich als erstes für die Umstände und dass ich ihr nun nicht gerade sagen könne, wie es weitergehe, dass ich mich nochmals per Email melde sobald der Tierarzt da war. Nachdem der Tierarzt gegangen war blieb ich noch 4 weitere Stunden im Stall um zu sehen, ob sich mein Pferd stabilisiert und fuhr als alles soweit ok war die 30min wieder nach Hause.


Schon mehrere Monate hatten mich da Schmerzen in der Schulter geplagt und ich hatte eine Woche zuvor sogar ein Shooting verschieben müssen deswegen. Die Reaktion darauf war eine erboste Email, dass es eine absolute Frechheit von mir sei den Termin zu verschieben, sie sich extra freigenommen habe - dieses Risiko besteht leider aufgrund des Wetters bei Shootings immer und ich weise auch jedesmal darauf hin, dass zwar extra für den Termin freigenommen werden kann, ich aber die Durchführung aufgrund des Wetters nicht garantieren könne - und dass sie sofort ihr Geld (vom Geschenkgutschein) zurück wolle. Dieses Erlebnis sensibilisierte mich dafür wie heikel es sein kann, einen Termin verschieben zu müssen - egal aus welchem Grund.


Ich schrieb also der aktuellen Kundin in einer Email, dass ich vorläufig keinen neuen Termin vergeben könne weil ich nicht wisse, wie es mit meiner Gesundheit weitergehe.


Einen Tag danach musste ich notfallmässig zum Arzt weil sich mein Zustand sehr verschlechtert hatte und auch die Schmerzen immer mehr wurden. Eine Frozen Shoulder wurde diagnostiziert und ich wurde vorläufig bis zum Ende des Monats 100% krankgeschrieben.


Schmerzpads brachten stundenweise kleine Erleichterungen



Kurzum - ich befand mich in einer schwierigen Zeit in der mir nicht nur privat mein Leben um die Ohren flog sondern ich auch noch mit einer langwierigen Krankheit herumschlagen musste, die mir den Alltag erschwerte und keinen erholsamen Schlaf gewährte. Die Therapiestunden, die ich schon seit Januar für die Schulter hatte vervielfachten sich und es war ein regelrechtes jonglieren mit Terminen, offenen Emailantworten, auf ihre Fotos wartenden Kundinnen, neuen Anfragen, dem restlichen kompletten Alltag und viel Schlaf sowie eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit, die die Schmerzen forderten.


Habe ich schon erwähnt, dass es rund 8 Wochen vor unserer Hochzeit war und wir damit auch noch ganz viel anderes im Kopf hatten?



" Es ist eine absolute Anstandslosigkeit den Termin abzusagen; keine weitere Kommunikation signalisiert Gleichgültigkeit und Desinteresse am Auftrag "


Mit diesem exakten Wortlaut erreichte mich knapp 3 Wochen später eine Email. Ohne eine einzige Frage ob etwas passiert sei oder wie es mir gehe.



Viele Gefühle durchfluteten mich


Verständnis für den Ärger des Verschiebens, denn die Vorfreude auf ein Shooting ist immer gross, entsprechend gross auch die Enttäuschung. Verständnis für den Ärger, dass ich mich nicht in kürzerer Frist melden konnte - man denkt immer 'mindestens eine Email oder eine kurze Nachricht ist doch immer möglich' - nein, leider nicht. Es gibt Situationen, da geht anderes einfach vor. Die ersten zwei Wochen nach dem Arztbesuch lag ich flach, seither bin ich 80 und inzwischen 70 Prozent krankgeschrieben.


Dann war da aber auch Schmerz, Traurigkeit, Angst. Schmerz darüber, dass mir zugetraut wird, dass mir ein Auftrag egal ist. Wo ich - wie zumindest meine langjährigen Kundinnen wissen - mein ganzes Herzblut reinstecke und auch (zu oft) über meine Grenzen gehe. Traurigkeit, dass sich nicht erst danach erkundigt wird warum ich mich nicht gemeldet habe. Und dann kommt natürlich meine langjährige Freundin, die Angst mich wieder besuchen: Kunde verloren, schlechtes Reden über meine Arbeit, schlechter Ruf, weniger Anfragen, ich kann gerade sowieso nicht arbeiten, jetzt auch noch Kunden gänzlich zu verlieren wiegt doppelt, Arzt- und Therapierechnungen - die Liste könnte ich endlos weiterführen.



Vielleicht fragst du dich nun wie man nach fast 9 Jahren - inzwischen erfolgreicher - Selbständigkeit denn immer noch Ängste mit sich tragen kann?


Es ist gerade etwa ein Jahr her. Ich hatte keine Anfragen, kaum Aufträge. Es ist also nur weil es jetzt gerade gut läuft keine Selbstverständlichkeit, dass es auch so bleibt. Die letzten Jahre der Selbständigkeit haben mich viel gelehrt und so fand ich sehr schnell wieder ins Vertrauen zurück. Äussere Umstände (andere Anbieter, Wirtschaft etc.) sind ein Einfluss. Die eigene innere Einstellung dazu der grössere. Glaube ich daran, dass es geht und fühle ich mich bereit dafür, dann flattern schon die ersten Emails mit Anfragen wieder in meinen Posteingang.


Für mich ist der ganze Weg, der sich vor mir immer wieder auf tut ein einziger grosser Prozess - halt einfach lebendiges Leben und Lernen. Es ist ein immer wieder ein neues Finden von Balance zwischen Herzensarbeit und Wirtschaftlichkeit (davon leben können), zwischen zu viel Arbeit zu wenig Freizeit, zu viel Freizeit zu wenig Arbeit/Einkommen oder zwischen sehr viele Anfragen haben und trotzdem jeden persönlich, authentisch, herzlich, professionell und individuell betreuen zu können.



Zeichen für d(ein)en Herzensweg


Mit der Zeit fiel mir noch etwas weiteres auf: Immer wenn ich nicht nach meinem Herzen handle und spreche und ich mich damit von mir selbst entferne, zeigen sich viele Zweifel, Ängste oder auch Ärger und ärgerliche Situationen. All diese Situationen, die so Zwicken, scheinen mich aufrütteln zu wollen um zu sagen: hey, aufwachen - das ist nicht der richtige Weg, geh einen anderen.


Kennst du das? Dann kennst du bestimmt auch, dass das Wahrnehmen dessen das eine ist, das Umsetzen etwas anderes. Das dauert manchmal und die einen *hüstel, Fingerzeig auf mich* brauchen einen grösseren Schubs wie eine Krankheit oder einen sonstigen Schicksalsschlag.


Inzwischen kann ich zwar immer noch zu 70% nicht arbeiten aber der Tiefpunkt liegt hinter mir. Ich erreichte ihn eine Woche vor der Hochzeit wo nach über 6 Monaten Dauerschmerzen Tag und Nacht immerhin die Ruheposition schmerzfreier wurde. Meine Schulter war nun komplett eingefroren, eben frozen. Was eigentlich ganz schlecht ist, ist gleichzeitig ein gutes Zeichen: der Tiefpunkt war erreicht, ab nun kann es nur noch aufwärts gehen.



Zum Glück blieben diese zwei Vorfälle die einzigen und sie sensibilisierten mich wieder für vieles. Nicht über meine Grenzen zu gehen - oder nicht zu lange *zwinker*. Prioritäten zu setzen, noch besser zu kommunizieren und vieles mehr.


Natürlich waren nicht alle Reaktionen auf die Terminverschiebungen und Antwortverzögerungen negativ, im Gegenteil. Ich bin wieder einmal dankbar dafür die besten Kundinnen der Welt zu haben, die mit grösstem Verständnis, Geduld, Herzlichkeit und sogar mit Hilfsangeboten reagierten. Einige Shootings mussten um mehrere Monate verschoben werden, andere mussten mehrere Wochen länger auf ihre Bilder warten.


Wenn es nicht geht, dann geht es einfach nicht. Was aber immer geht ist: ein Schritt nach dem anderen, egal wie klein er ist. Und so gehe ich weiter.


Kennst du solche oder ähnliche Situationen? Ich freue mich über deine Erfahrungen im Kommentar zu lesen.


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