Während ich am Telefon weinte wiederholte mein Freund, was er eben gesagt hatte: „Wenn du willst, hole ich dich und dein Pferd heute mitten in der Nacht ab, damit du von dieser Hölle abhauen kannst.“
Mein Leben wird nie mehr sein wie es vorher war
Hinter mir liegt eine Zeit, die mein Leben für immer verändern würde. Aus meiner Anstellung als erfahrene und erfolgreiche Projektleiterin nahm ich mir eine Auszeit um in einen komplett anderen Bereich hinein zu schnuppern. Für etwas Abwechslung und um Neues zu lernen wollte ich vier Monate lang mit meinem Pferd zusammen in einem grossen Ausbildungszentrum ein Praktikum machen um zu Lernen und meinem Pferd damit etwas Gutes zu tun.
Was mit viel Abenteuerlust begann, endete in einem Zusammenbruch mit Burnout und finanziellem Ruin, wovon ich ersteres nur langsam und doch nie ganz überwunden habe, zweites sich nach 7 Jahren erholt hatte. Es dauerte so lange, weil ich aus dem Burnout heraus meinen Job verlor und mit einem Gepäck voller Krankheitssymptomen vor dem Nichts stand.
Vorgewarnt
Ich hätte es wissen können, denn als ich einer Reitkollegin erzählte, was ich vor hatte, warnte sie. mich. Sie hatte dasselbe gemacht und war in einer Nacht und Nebel Aktion mitten in der Nacht abgehauen, hatte ihr Pferd verladen und verliess diesen Ort, an dem sie - wie ich später - von der Leiterin gemobbt und psychisch gequält wurde. Kennt ihr die Geschichte mit der heissen Herdplatte? Wart ihr auch ein Kind, das es selbst ausprobieren musste? Genau so dachte ich mir auch an dem Tag, dass es vielleicht heute anders sei, Menschen könnten sich ja auch ändern.
Und so begann meine Geschichte
Keiner aus meinem Umfeld konnte verstehen, wieso ich vier Monate lang unbezahlten Urlaub nehmen würde um in einem Betrieb 9 Stunden (oft auch mehr) pro Tag 5.5 Tage (!) pro Woche zu schuften. Für unglaubliche CHF 276.- pro Monat, das entsprach CHF 300 Lohn abzüglich die obligatorischen Abgaben. Weil ich mein Pferd mitnahm zahlte ich schlussendlich, um es selbst fast jeden Tag zu versorgen, noch CHF 500.- dazu.
Der finanzielle Ruin erklärt sich damit von selbst, denn obwohl ich für diese Zeit sogar meine schnuckelige und preiswerte Dachwohnung aufgegeben hatte und mein damaliger Stallbesitzer nur einen anteilsmässig kleinen Reservierungsbetrag für die freistehende und auf uns wartende Boxe wollte, liefen die vielen Schweizer Fixkosten wie auch meine täglichen Kosten für Nahrung natürlich weiter und labten sich genüsslich an meinem Ersparten.
Wir fahren los
Die Wohnung hatte ich abgegeben und die Sachen bei meinen Eltern untergestellt. Mit dabei hatte ich nebst den alltäglichen essenziellen Dingen nur zwei Paar Reithosen, ein paar T-Shirts, eine Jacke, Schuhe und einen Laptop mit wenigen DVDs (ja, es ist schon ein paar Jahre her). Ein Freund bot sich an mein Pferd mit seinem Zugfahrzeug und Anhänger zu transportieren während ich mit meinem Auto reiste. Grundsätzlich fuhr ich mein Pferd selbst lieber weil er sehr eigen war beim Transport, aber es hiess eine Transportmöglichkeit mit Fahrer zu haben oder gar keine und nachdem mir mein Freund beteuerte so vorsichtig zu fahren als ob er das Gold der Nationalbank transportieren würde, nahm ich das Angebot dankbar an.
In unserem vorübergehenden Zuhause angekommen bezog ich einen Wohnwagen. Diese Wohnmöglichkeit hatte ich einer 1.5 Zimmerwohnung im Keller ohne Fenster, die bereits mit 2 Auszubildenden belegt war und wo ich das Sofa hätte haben können, vorgezogen. Es bedeutete dafür mitten im kalten Winter, auch bei hohem Schnee, bevor wir ihn selbst wegschaufelten, durch den dunklen Stall zur Dusche zu gelangen.
Mein Pferd bezog eine Boxe, die er fortlaufend wechseln würde weil die Pferde, die für die Kurse kamen, Vorrang hatten. Er war schnell zufrieden als er seine Ration Heu bekommen hatte.
Innert zwei Wochen beide Hände in Schienen
Direkt am nächsten Tag ging es los und die Arbeit begann. Füttern, Misten, bis spätestens xx Uhr fertig sein. Also galt es jeden Tag schneller zu werden um pünktlich zur Tagessitzung mit Verteilung der Arbeiten und des Tagesablaufs zu erscheinen. Nebst dem Geld, das ich dafür zahlte dort zu sein, war vorgesehen, dass ich an Kursen teilnehmen durfte und unterrichtet wurde als Gegenleistung für meine Arbeitsstunden. In drei Wochen würde ich am ersten Kurs teilnehmen dürfen - ich freute mich riesig.
An einem Tag in der ersten Woche galt es 6 Tonnen Strohballen ab- und ins Lager hochzuladen. 300 Ballen à 20kg liefen über meine untrainierten Hände. Die nächsten Tage begann ein kribbeln in den Handgelenken, ein Ziehen bis zu den Schultern. In der Nacht schliefen mir die Arme ein und hielten mich damit wach. Die ganzen Hände kribbelten. Es war eine komische Art Schmerz in den Handgelenken, der mehr ein unerträgliches Ziehen als ein stechender oder brennender Schmerz war.
Meine Arbeitskollegin berichtete mir, dass es das Karpaltunnelsyndrom sei, sie habe es auch immer wieder mal. Weil sie es gerade nicht hatte bekam von ihr zwei Schienen ausgeliehen. Sie sollten mich die nächsten 3.5 Monate, die noch übrig blieben, Tag und Nacht begleiten, denn ich zog sie nur zum Duschen aus. Die Schmerzen blieben, waren mit den Schienen aber erträglicher.
Nun hiess es mit den beiden Schienen zu arbeiten: Misten, Füttern, Einstreuen und bei der wöchentlichen Reinigung der Kursräume, Kursküche und dem Kursschlafbereich ebenso. Auch für den privaten Unterricht, den ich mit meinem Pferd erhielt… Pferd putzen, satteln, aufsteigen und natürlich auch: Reiten mit Schienen. Es ist unglaublich wozu ein Mensch fähig ist. In vielerlei Hinsicht, wie ich später noch schreiben werde.
Als es endlich soweit war, dass ich an meinem ersten Kurs teilnehmen durfte, wurde ich einen Tag vorher in der Tagessitzung instruiert: Aufstehen, Füttern, Misten, Kurslokal vorbereiten. Dann am Kurs teilnehmen, in der Pause Misten. Weiter mit dem Kurs und während der Mittagspause die Pferde versorgen. Nach dem Kurs wieder Misten und Füttern bis zur Feierabendzeit. Die Tage waren lang und anstrengend, aber an den Kursen habe ich mir viel wertvolles Fachwissen über Tiere und wie sie Lernen fürs Leben angeeignet. Dieses Wissen bereichert heute noch jeden Tag meinen Umgang mit Tieren.
Der Wind weht in die entgegengesetzte Richtung
Die Leiterin zeigte sich anfangs freundlich und unauffällig. So dachte ich, dass wohl die Situation wie sie meine Stallkollegin beschrieben hatte, vielleicht doch eine einmalige war.
Ich wurde sogar ein bisschen ins Vertrauen gezogen in dem sie mir andeutete, dass sie eine Nachfolgerin suche, die das alles mit ihr zusammen leiten könnte und, wenn sie einmal nicht mehr dort ist, ihr Lebenswerk übernehmen würde. Dazu wäre es aber nötig, dass ich die Vollzeitausbildung dort beginnen würde und mich in den vielen Bereichen ausbilden liesse. Ich begann also ernsthaft zu überlegen meinen Job komplett an den Nagel zu hängen und einen so einschneidenden Karrierewechsel vorzunehmen. Ich war dieser Gelegenheit gegenüber sehr aufgeschlossen und konnte mir tatsächlich vorstellen, diesen Weg zu gehen.
Was es war, dass der Wind plötzlich die Richtung wechselte und mir von nun an mit peitschendem Regen ins Gesicht schlug, daran mag ich mich nicht erinnern. Die Leiterin war eine Woche in den Ferien gewesen und als sie zurück kam liess sie mich spüren, dass ein anderer Wind wehte.
So geht Mobbing
Von diesem Tag an konnte ich nichts mehr recht machen. Was ich auch tat, es war falsch und wurde gerügt. Wenn ich eine Aufgabe bekam wurde mir nicht mehr erklärt wie ich sie auszuführen hatte, was natürlich dazu führte, dass egal wie ich sie ausführte, die Art und Weise oder das Resultat falsch war. Selbst wenn ich 5 Minuten vor Arbeitsbeginn mit der Arbeit begonnen habe, wurde ich dafür angeschrien (!), dass ich zu spät begonnen habe. Fütterte ich zuerst das eine Pferd, hätte ich das Andere vorher füttern sollen, fütterte ich das Andere vorher, hätte es zuerst das eine Pferd sein sollen. Heute weiss ich, dass das klassische Mobbing-Symptome sind, damals versuchte ich einfach jeden Tag aufs Neue alles Recht zu machen und bemühte mich noch mehr. Vor mir lagen noch 3 volle Monate Praktikum. Ich dachte das packe ich schon, ich mache einfach weiter. Aufgeben ist keine Option.
Die Tage verliefen alle sehr ähnlich: Anschreien, nichts richtig machen können.
Ich durfte weiter ab und an an einem Kurs teilnehmen aber mit spürbarem Unmut der Leiterin.
An einen Tag erinnere ich mich besonders, denn ich fühlte mich wie Aschenputtel - mit dem Unterschied, dass meine Mit-Arbeiterinnen liebe Menschen waren.
Eine neue Praktikantin hatte begonnen und alle drei durften ausreiten gehen während ich alle 25 Pferde versorgen musste. Es war ein wunderschöner, sonniger Frühlingstag und es wehte ein leichter, warmer Wind. Perfektes Ausreitwetter. Mit meinen beiden Schienen an der Hand mistete ich die Boxen alle alleine während die anderen ausritten. Solche und weitere Situationen gab es unzählige. Viel schlimmer aber waren die Blicke der Leiterin, die täglichen Rügen und das ständige Gefühl ein Dorn in ihrem Auge zu sein. Ich wurde kleiner und kleiner, dünner und dünner. Mein Lachen verschwand und nahm das Selbstvertrauen mit. Ich war nur noch ein Schatten meiner Selbst, stets das Beste gebend obwohl ich immer weniger Kraft dazu hatte.
Alle verbale Prügel einsteckend funktionierte ich nur noch indem meine Beine liefen und mein Körper arbeitete
Es war etwa 2 Wochen vor Ende des Praktikums, als ich nicht mehr konnte. Ich brach weinend am Telefon zusammen, während ich an einem Abend nach dem Feierabend um 19 Uhr mit einem Freund telefonierte. Ein wahrer Freund war er, denn er flog am kommenden Tag für eine Weltmeisterschaft nach Brasilien. Trotzdem bot er mir an: „Wenn du willst, hole ich dich und dein Pferd heute mitten in der Nacht ab, damit du von dieser Hölle abhauen kannst“.
Wie schön wäre es gewesen den sicheren Erniedrigungen vom nächsten Tag zu entgehen, aber ich konnte einfach nicht.
Es war als wären dann die ganzen vier Monate für Nichts gewesen, wenn ich sie nicht durchhalte - warum wissen die Götter.
Es gab wahrlich keinen einzigen Grund zu bleiben.
Das Einzige, das ich verpasst hätte wäre gewesen, dass sich die Leiterin am letzten Tag nicht von mir verabschiedete und mir wortlos und ohne jeglichen Dank den Umschlag mit meinem ‚Lohn‘ übergab. Als ich ihn in meinem Auto öffnete entdeckte ich, dass CHF 50 fehlen.
Wie ich damals den Mut zusammenbrachte nochmals aufzustehen und zu ihr hinzugehen, das weiss ich nicht. Selbst heute, wenn ich daran denke, erschöpft es mich unglaublich.
Doch so stark wie der Wille war nicht aufzugeben, so viel Stärke fand ich noch in mir um sie darauf anzusprechen, dass ein Teil des Geldes fehle. Ihre Augen verrieten mir, dass sie es wusste und gleichzeitig, dass sie nicht damit gerechnet hatte, dass ich den Mut aufbringen würde mich ihr zu stellen. Sie gab mir widerwillig CHF 50 mit der Bemerkung, dass wenn ich die Note doch noch finden würde, ich ihr das Geld zurückgeben solle. Die Note habe ich nie gefunden.
In Gesprächen mit den anderen zwei Mädels erfuhr ich, dass es immer jemanden trifft, der es abbekommt. Ja, es. Ich kann es nicht geballten Frust oder geballte Wut nennen, denn ich weiss nicht, was diese Person dazu trieb, so mit Menschen umzugehen. Ich erfuhr nach meiner Rückkehr nach Hause, dass nun nicht die neue Praktikantin sondern die Auszubildende, die am längsten dort war, jetzt plötzlich unter die Räder kam. Auch sie hatte zum Glück nur noch wenige Monate vor sich.
Zurück im alten Leben als anderer Mensch
Für mich ging es danach ohne Pause direkt zurück in meinen Job, in dem sich leider alles verändert hatte. Zuvor waren wir wie eine kleine Familie, mit mir 3 Angestellte und unser toller Chef. Eine Angestellte hatte sich in der Zeit neu orientiert und die zweite war am Gehen, mehrere neue kamen dazu. Dann wechselte der vorher 10 Minuten nahe Arbeitsort an einen für mich 1 Stunde (pro Weg) entfernten Ort in ein Büro mit vielen neuen Leuten.
Meine körperlichen Beschwerden und Schmerzen nahmen zu, ich war ständig gereizt und ein nervliches Wrack. Mein Chef sagte einmal nach einem Besuch bei Kunden zu mir, dass ich nach wie vor super arbeite, aber dass ich unbedingt wieder mehr Selbstvertrauen in den Gesprächen zeigen müsse.
Mir ging es zunehmend schlechter. Ein Jahr nach dem letzten Praktikumstag kündigte ich meine einst geliebte Arbeitsstelle und trat ins Nichts
Es dauerte fast 10 Jahre, bis ich wieder mit Menschen sprechen konnte, wenn es Konflikte oder unterschiedliche Meinungen gab. Ich ging in einer geduckten Haltung durchs Leben und versuchte nirgends anzuecken. Dies verpasste mir einen unsichtbaren Sticker auf der Stirn ‚mobbe mich‘. Andere Mobbingopfer kennen dies bestimmt. Hat man einmal diesen Sticker, gehts vom Regen in die Traufe.
Ich konnte keine neue Stelle annehmen obwohl ich mehrere Male bei Bewerbungen in das 2. Gespräch gekommen war. Kaum war eine Stelle in Aussicht baute sich der Druck und Schmerzen in mir auf und ich sagte ab. Nichts ging mehr, selbst das Ausräumen der Geschirrspülmaschine dauerte manchmal einen, nicht selten sogar mehrere Tage.
Wieder viele Menschen um mich herum, die mich nicht verstanden.
Ich hatte gekündigt und stand ohne Versicherungsschutz und ohne Einkommen da. Erst als ich nach ein paar Monaten merkte, dass es nicht besser wird erkannte ich, dass ich mitten in einem Burnout steckte. Zuvor dachte ich, ich könnte einfach 2, 3 Monate mit dem Job pausieren und mir dann einen neuen suchen. Damals wie heute bin ich der Meinung, dass jemand, der gut arbeitet, auch jederzeit einen Job findet. Das wäre auch so gewesen, wenn ich nicht nach wie vor auf Ground Zero gestrandet gewesen wäre.
Nach 5 Monaten Pause musste ich handeln um bei der AHV keine Lücke zu riskieren. Mir fiel nichts besseres ein als mich als Selbständig erwerbend anzumelden weil ich wusste, dass ich die Mindestzahlungen irgendwie schaffen würde.
Neubeginn mit der Kraft des Waldes und der Fotografie
Am Ende meiner Kräfte war das einzige, das ich schaffte, in den Wald zu gehen. Dabei entdeckte ich, dass es ja vieles im Leben auch gratis gibt… so sammelte ich Moos, Buchennüssli, Eicheln, kleine Steinchen sowie Schwemmhölzer und zauberte daraus Türkränze und Mobiles. Das wenige Material, das ich dafür zukaufen musste wie Draht und Heissleim, konnte ich mir gerade noch leisten.
Ich druckte selbst Flyer mit Fotos von den Kränzen und einem Verkaufsnachmittag bei mir zuhause und verteilte diese in den Briefkästen der Nachbaren. Ich konnte fast alles verkaufen und nahm CHF 350 ein. Echt liebe Nachbaren, die wahrscheinlich bis heute nicht wissen, wie sehr sie mir mit ihrer Wertschätzung und ihrem Interesse geholfen haben.
Weiterhin unfähig als Angestellte zu arbeiten begann ich meine Kamera mit in den Wald zu nehmen
Um die gemachten Fotos zu zeigen meldete ich mich bei der erst vor Kurzem entstandenen Plattform Facebook an. Ich fing an Fotoshootings anzubieten… und ging den Weg bis heute. Er war nicht weniger steinig als eine Anstellung, aber immerhin hatte und habe ich so die Möglichkeit, in meinem möglichen Tempo und nach meiner verfügbaren Energie zu arbeiten.
Einige weitere Mobbings im privaten Bereich durchlief ich noch bis ich irgendwann schneller merkte, wenn wieder ein Mobbing los geht. Heute lasse ich mich nicht mehr als Zielscheibe missbrauchen und damit verblasst Sticker an meiner Stirn.
Comments